Paläobiodiversität und Paläoökologie siliziklastischer und karbonatischer Schelfregionen vor und nach Evolutionseinschnitten
Devon bis Karbon
M.R.W. Amler
Im Zeitabschnitt vom Unter-Devon bis Unter-Karbon waren am Südrand von Laurussia, d.h. vom östlichen Nordamerika über die Britischen Inseln bis zur Russischen Plattform, siliziklastische und gemischt siliziklastisch-karbonatische Schelfareale weit verbreitet. Sie sind aber in paläontologischer Hinsicht trotz eines guten und umfangreichen Überlieferungspotentials nur lokal eng begrenzt untersucht. Im Rahmen eines multidisziplinären Projektes werden in der Raum-Zeit-Ebene Biodiversität, Faunenentwicklung, Bio- und Lithofazies, Paläoökologie, Biogeographie, Paläoklimatologie und Paläogeographie von den Britischen Inseln bis zur Russischen Plattform am Südrand von Laurussia im Oberdevon und Karbon nachgezeichnet und mit gleichaltrigen Räumen im östlichen Nordamerika verglichen. Das Projekt bietet einen ausgezeichneten Hintergrund für die Analyse und Darstellung von Evolutionsschritten und -schnitten, z.B. bei marinen Wirbellosen und Mikroorganismen während des Jung-Paläozoikums am Beispiel der vier Zeitabschnitte Kellwasser-Krise (Frasnium/Famennium-Grenze), Strunische Transgression (spätes Famennium), Hangenberg-Krise (Devon/Karbon-Grenze) und Tournai-Transgression (frühes Mississippium).
Das jüngere Oberdevon (Oberes Famennium) ist gekennzeichnet durch regressive Sequenzen mit einem deutlichen Tiefstand vor dem Beginn des Struniums. Im jüngsten Famennium (Strunium) folgte eine kurzzeitige transgressive Phase, die mit einem absoluten Tiefststand einschließlich eines Hiatus im Bereich der Devon/Karbon-Grenze endete. Besonders auffällig sind die damit zusammenhängenden Litho- und Biofazies im Bereich des klastisch beeinflussten Schelfes am Südrand des Laurussischen Kontinentes. Diesen Schelf markiert ein schmaler, zusammenhängender Streifen mit gemischt siliziklastisch-karbonatischen Sedimenten, der von S-Irland über SW-England, die nördlichen Ardennen und das Bergische Land bis nach N-Polen rekonstruierbar ist und der die nördliche Begrenzung des sog. Rheia-Ozeans (Westabschnitt der Paläotethys) bildete.
In Nord-Devon wird der Meeresspiegelanstieg im jüngsten Famennium durch die Küsten- und küstennahen Sedimente des Baggy Sandsteins und die nur wenig küstenferner abgelagerten Pilton Shales repräsentiert. In Belgien wird die regressive Sequenz des jüngeren Famenniums durch die Condroz Sandstein-Folge vertreten. Die Folge enthält eine Vielzahl kleinräumiger Faziestypen, die einen in Zeit und Raum sehr komplex gegliederten Schelf charakterisieren. Über den jüngsten klastischen Faziesräumen der Condroz Sandstein-Folge treten die Etroeungt-Kalke, lokal auch Stromatoporen-Biostrome auf.
Nach Osten lässt sich die Paläogeographie bis in den Velberter Raum verfolgen, wo dieser Zeitabschnitt durch die Velberter Schichten repräsentiert wird. Die meist geringmächtigen Kalkbänke innerhalb der sandig-siltigen Folge der höheren Velberter Schichten enthalten ein breites Spektrum an Karbonattypen, die mindestens drei unterschiedlichen Ablagerungsräumen innerhalb des flachen Schelfes zugeordnet werden: I. restriktive Lagune, II. offene Lagune und III. offener Schelf. Kontinuierliche Übergänge zwischen den verschiedenen Fazies-Typen sind vorhanden, und eine steigende Diversität mit einer Zunahme der Biota in Richtung auf den offenen Schelf ist erkennbar.
Auf Grund der semi-arid/subtropischen Klimabedingungen am Westrand der Paläotethys bot der famennische Schelf sehr gute Voraussetzungen für das Entstehen einer hochdiversen Fauna und Flora. Die etwas variierenden Substratbedingungen sowie weitere ökologische Parameter charakterisieren verschiedene Lebensräume, die insgesamt von Brachiopoden und Ostracoden dominiert, lokal aber auch stark von Crinoiden, Bryozoen und Mollusken ergänzt werden. Auf Grund der Lebensgewohnheiten der Organismen und ihrer Vergesellschaftungen lässt sich feststellen, dass mit Ausnahme des epi- und endolithischen Raumes, der im Bereich des strunischen Schelfes weitestgehend fehlt, sämtliche Biotope besiedelt wurden.
Die gesamte Faunenassoziation wird charakterisiert durch eine Brachiopoden-Gemeinschaft, die in mehrere Communities untergliedert werden kann. Entsprechend der autökologischen Grundbedingungen dürfte eine Raum- und Nahrungskonkurrenz zwischen Bivalven und vor allem den Brachiopoden geherrscht haben. Für die Besiedelung des epibenthischen Raumes besaßen dabei die Pteriomorphia wegen der flexiblen Verwendung des Byssus und der damit verbundenen Mobilität deutliche Vorteile gegenüber den stark bestachelten aber sessilen Strophomeniden. Das gleiche betrifft einerseits die mittels Stiel festgehefteten Spiriferiden, Athyrididen und Orthiden und zum anderen die frei auf dem Sediment liegenden Brachiopoden. Der überwiegende Teil der pteriomorphen Bivalven lebte epibenthisch und angeheftet mittels Byssus, wobei wahrscheinlich auch Stockwerksbildung innerhalb der Wassersäule (an Bryozoen, Crinoiden, Algen) auftrat. Einige Gruppen lebten byssat semi-endobenthisch und bildeten direkte Raum- und Nahrungskonkurrenten zu den Brachiopoden. In gegenseitiger Konkurrenz hingegen standen die zahlreichen endobenthischen Gruppen (Palaeotaxodonta, Heteroconchia, Anomalodesmata), die offensichtlich diesem Druck durch Stockwerksbildung, Substratpräferenzen und unterschiedlichem Nahrungserwerb begegneten.
Für die biofazielle Entwicklung im jüngsten Famennium war die Natur des Substrates von ganz entscheidender Bedeutung. Dabei dürfte es sich über längere Zeiträume hinweg um ein Nebeneinander von Festgründen, also standfesten, jedoch noch nicht lithifizierten Substraten, und Weichgründen gehandelt haben, die zwar episodisch durch klastischen Eintrag neu geformt wurden, die jedoch langzeitlich epi- und endobenthisch besiedelt werden konnten. Allerdings kann auch die Oberfläche von Weichgründen von Bivalven und Brachiopoden besiedelt werden, wenn ihre Schalen Ornamente und Formen entwickeln, die ein Einsinken in das Substrat verhindern. Festgründe bzw. zeitweilig stabile Weichgründe waren darüber hinaus ein ideales Substrat für die zahlreich vorhandenen Echinodermaten (Ophiuroideen, Echinoideen, Crinozoen), Trilobiten sowie eine ausgeprägte Ichnofauna.
An der Wende Devon-Karbon erfolgte ein Abfall des Meeresspiegels, gefolgt von einem deutlichen Anstieg im Courceyum bzw. Hastarium. Auf Grund lokaler paläogeographischer Gegebenheiten verlagerte sich die Küstenlinie in SW-England während des Courceyums nur noch geringfügig, so dass im Gegensatz zum übrigen Gebiet der Britischen Inseln, Belgiens und Westdeutschlands, wo sich ausgedehnte Karbonate der Schelf-Plattform entwickelten, durch Eintrag feinklastischen Materials vom St. Georgs Land ein mehr oder weniger gleichförmiger Faziesraum erhalten blieb, während in den östlichen Gebieten der Eintrag von siliziklastischem Material weitgehend ausblieb. Der strunische Biofaziestyp wurde damit rasch sehr weit nach Norden verlagert bzw. in SW-England verkleinert und konnte mit seiner typischen Faunengemeinschaft auf Grund der veränderten Umweltbedingungen und evolutiver Einschnitte offenbar in dieser Art nicht fortbestehen, sondern wurde durch Assoziationen des karbonatischen Schelfes ersetzt.
Mit dem weiteren Verlauf des Unterkarbons wird differenziert zwischen “Kohlenkalk-Fazies” im Westen, östlich anschließender basinaler Fazies (“Kulm-Fazies”) sowie dem Übergang zwischen beiden Fazies, dem Unterkarbon des Velberter Sattels. Der Schelfrand lag ungefähr auf einer Linie von Velbert nach Düsseldorf.
Mitarbeiter
M. Gereke, NN.
Vernetzung
u.a. mit Arbeitsgruppen zur Riff-Forschung, Karbonat-Mikrofazies, Sedimentologie, Ichnologie, Geophysik und Klimatologie; British Geological Survey, Geologischer Dienst NRW, Universität Köln, Naturkundemuseum Berlin, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover/Berlin, Naturalis Leiden.
Präsentation von Ergebnissen
Tagungen in Bonn (1989), Berlin (1992), Cambridge (1999), Frankfurt/M. (2001) und Köln (2006).
Publikationen über das Forschungsprojekt
AMLER, M.R.W., THOMAS, E., WEBER, K.M. & WEHKING, S. (1990): Bivalven des höchsten Oberdevons im Bergischen Land (Strunium; nördliches Rhein. Schiefergebirge). – Geologica et Palaeontologica 24: 41–63, 3 Abb., 1 Tab., 4 Taf.; Marburg.
AMLER, M.R.W. (1993): Shallow marine bivalves at the Devonian/Carboniferous Boundary from the Velbert Anticline (Rheinisches Schiefergebirge). – In: STREEL, M., SEVASTOPULO, G.D. & PAPROTH, E. (Hrsg.): The Devonian-Carboniferous Boundary - a final report of the International Working Group on the Devonian-Carboniferous Boundary. – Annales de la Société Géologique de Belgique 115 (2): 405–423, 4 Abb., 1 Tab., 2 Taf.; Liège.
AMLER, M.R.W. (1995): Die Bivalvenfauna des Oberen Famenniums West-Europas. 1. Einführung, Lithostratigraphie, Faunenübersicht, Systematik 1. Pteriomorphia. – Geologica et Palaeontologica 29: 19–143, 12 Abb., 26 Tab., 24 Taf.; Marburg.
AMLER, M.R.W. (1996): Die Bivalvenfauna des Oberen Famenniums West-Europas. 2. Evolution, Paläogeographie, Paläoökologie, Systematik 2. Palaeotaxodonta und Anomalodesmata. – Geologica et Palaeontologica 30: 49–117, 7 Abb., 6 Tab., 7 Taf.; Marburg.
AMLER, M.R.W. & HEIDELBERGER, D. (2003): Late Famennian Gastropoda from south-west England. - Palaeontology 46: 1151–1211, 15 Abb., 1 Tab.; London.
AMLER, M.R.W. (2004): Late Famennian bivalve, gastropod and bellerophontid molluscs from the Refrath 1 Borehole (Bergisch Gladbach-Paffrath Syncline; Ardennes-Rhenish Massif, Germany) – Courier Forschungsinstitut Senckenberg 251: 151–173, 32 Abb., 4 Tab.; Frankfurt/M.
AMLER, M.R.W. & HERBIG, H.-G. (2006): Ostrand der Kohlenkalk-Plattform und Übergang in das Kulm-Becken im westlichsten Deutschland zwischen Aachen und Wuppertal. – In: DEUTSCHE STRATIGRAPHISCHE KOMMISSION (Koord./Red.: M.R.W. AMLER & D. STOPPEL) (Hrsg.): Stratigraphie von Deutschland 6: Unterkarbon (Mississippium). – Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften 41: 441–477, 3 Abb., 1 Tab.; Hannover.